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Zeitreise

Der Lyssbach bringt Wassernot im 18. Jahrhundert

(Auszug aus «Lyss seine Geschichte», Dr. Ernst Oppliger, 1948)

Während vielerorts sich nur Anspielungen auf häufig vorkommende Überschwemmungen durch Aare und Lyssbach vorfinden, bestehen ausführliche Aufzeichnungen über die regelrechte Wassernot des Jahres 1781. Danach ging am 17. November 1781 ein entsetzlicher Wolkenbruch über die obere Gegend nieder. Der Lyssbach schwoll davon so an, dass der Schaden der Müller Hodler und Dick in Suberg auf 870 Kronen geschätzt wurde. Das Unwetter riss ihnen einen «fast neuen Stock» von Grund aus weg und verwüstete die Zuleitung zu ihren Mühlen.

Lyss selber verzeichnete 72 geschädigte Familien. Bedenkt man, dass die Ortschaft im Jahre 1781 95 Haushaltungen aufwies, so schlüpften wenige aus. Die Wassergrösse griff eben auch auf den Schlattbach über. Die Bewohner selber waren infolge Anschwellens des Lyssbaches genötigt, «samt ihrem kleinen Vieh schleunigst auf die ohnweit dabey gelegenen Anhöhen, die meisten aber von allzugrosser Gefahr und äusserster Noth übernommen, lediglich noch auf die Bühnen ihrer Häuser sich zu flüchten, allwo dann viele, wo das Wasser nur noch wenige Zeit länger also wütend angehalten haben würde, augenscheinlich samt ihren Wohnungen ein Raub der Fluthen hetten werden müssen».

Die Verwüstungen am bebautem Land, das mit Grien und Schutt überführt wurde, waren am grössten obenaus, im sogenannten Sagifeld, in der Wannersmatt, und untenaus im Siegelzelgli, der Kalbermeyd (heute Schönau) und dem Unterfeld. Es sei «von selbigen an den beyden Seiten dieses Baches liegende Güteren, so meistens aus Zelgland und schönen Wiesen bestehen, sehr vieles völlig entrissen, anders zwei und mehr Schue hoch mit Steinen, Sand und Grien überführet» worden. Verheerend wirkten sich die tobenden Fluten am Mauerwerk einiger Häuser aus, die dem Ansturm nicht Stand zu halten vermochten. Die Miststöcke neben den Häusern, die in Kellern aufbewahrten oder in der Erde vergrabenen Erdfrüchte, Rübli und Kartoffeln, wurden weggeschwemmt. Was ausser den Korngarben noch in der trüben Flut abwärts schwamm, mögen einige wenige Beispiele zeigen:
Summa Summarum aller Schäden in Lyss: 3439 Kronen 13 Batzen 3 Kreuzer. Pfarrer Rüttimeyer erhielt eine Beisteuer von 50 Kronen seitens der Regierung. Am 28. April 1783 sodann wurde eine allgemeine Steuer zu Gunsten der Geschädigten bewilligt.

Der Berner Kupferstecher Franz Niklaus König schuf zur Zeit, als napoleonische Truppen auch unsere Gegend heimsuchten, zwei aussagekräftige Stiche vom Dorf Lyss. Denkbar ist, dass König diese während eines Besuchs in Lyss schuf, als er den von ihm entwickelten Guckkasten im Lande herum vorführte. Festgehalten hat er wahrscheinlich den Holzsteg am oberen Ende der Studengasse gegenüber des Weissen Kreuzes (Privatbesitz).

Jahrhunderthochwasser

(Auszüge aus «1000 Jahre Lyss», Max Gribi, 2009)

Die häufigen Überschwemmungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte haben es mit sich gebracht, dass der Lyssbach regelmässig zum angstvoll erörterten Dorfgespräch geworden ist.

Naturnah, aber arm
Ein König-Stich aus dem Jahr 1799 schildert uns den Lyssbach, wie er seit Jahrhunderten das Dorf durchfloss. An seinem natürlichen, grasbewachsenen Ufer trat man stellenweise auf Schilfbestände. Dem flachen Ufer entlang, das keinen Schutz gegen Überschwemmungen bot, verlief ein ungepflasterter Pfad, in den die Räder der Holzkarren ihre Furchen gruben.
Am Ufer des dichtbestockten Baches traf man auf den Hüterbuben, der seine Schaf- oder Ziegenherde zur Tränke trieb. Über einen einfachen Holzsteg erreichten die Dorfbewohner das jenseitige Ufer des Lyssbaches, hinter dessen dichtem Bau- und Strauchbestand sich die Stroh- und Schilfdächer der Bauernhäuser breitmachten.

Zuerst nur ein Betonkanal
Der Lyssbach tritt an der Staatsstrasse Büren-Rapperswil-Münchenbuchsee-Bern, in der Gegend des sogenannten Lätti (Gemeinde Rapperswil) im Mosseetal ans Tageslicht.
Kein natürlicher Bach beginnt an der genannten Stelle im Lätti, sondern ein zwischen Bäumen, Büschen und hohem Gras fliessender, schnurgerader, halboffener Betonkanal. Als künstliches Band durchschneidet er hier, staudenbewachsen die Gemeindegrenze zwischen Schüpfen und Rapperswil bildend, das fruchtbare Ackerland des Lyssbachtals.
Seine Kraft, verstärkt durch mehrere Seitenbäche, lässt sich immer deutlicher an der tiefen Furche ablesen, die er in die Humusdecke reisst. Nach der Einmündung des im Hügelgebiet des Frienisbergs entspringenden Chüelibachs in Schüpfen zeigt er sich bereits als kräftig dahinströmender Bach und strebt nun zwischen Bäumen und Büschen dem tiefer gelegenen Seeland zu.
Über zahlreiche Bachschwellen hinunterstürzend, eilt der Bach dann Lyss zu, wird dabei zusehends breiter und ungestümer. Schliesslich erreicht er, nachdem er Chüelibach, Lööribach (Gemeinde Grossaffoltern) und Seebach (Gemeinde Seedorf) aufgenommen hat, den alten Dorfkern von Lyss.

Der seinerzeitige Holzsteg beim Weissen Kreuz, links die Studengasse (in der Stauden), rechts das strohgedeckte Dach der Salzbütti (König-Stich um 1800, Privatbesitz).

Lebensader

(Auszüge aus «1000 Jahre Lyss», Max Gribi, 2009)

Kenner des Dorfes und seiner Entwicklungsgeschichte nennen den Lyssbach gelegentlich «Lebensader». Mit Recht, denn an den Ufern dieses Baches entwickelte sich vor vielen hundert Jahren unser Dorf. Dort bauten unsere Vorfahren ehemals auch ihre Stroh- und schilfbedeckten Holzhäuser. Seit dem ausgehenden Mittelalter nutzten sie die Wasserkraft des Lyssbachs für den Antrieb ihrer Mühlen und Sägen, der Walken, Stampfen und der Öle.
Seit Mitte des 13. Jahrhunderts – die untere Mühle (Klostermühle) wird 1246 urkundlich erstmals erwähnt – war der Lyssbach im wahrsten Sinne des Wortes die «Lebensader» der handwerklich und gewerblich tätigen Dorfbevölkerung.

Die frühesten Industriebetriebe waren noch, wie dies etwa die erste eigentliche Fabrik im Oberdorf oder eine der ältesten Steinfabriken der Firma Bangerter zeigen, auf die Wasserkraft angewiesen. Sie wurden über eine langgestreckte Reihe von Steinsockeln mittels Transmissionsriemen vom Bach her angetrieben. Darauf ist auch die Flurbezeichnung «Drahtseilimatt» zurückzuführen, die bei betagteren Dorfbewohnern noch bekannt ist. Erst in den Jahrzehnten der aufblühenden Industrialisierung und der Elektrifizierung wurde er als Energiespender durch die Elektrizität abgelöst.

Ausschnitt aus einem meisterhaft gestalteten Plan von 1809, geschaffen vom Bürener Zeichner Bollin.

Erholungsraum
In unserer Zeit hat der Lyssbach seine zentrale Bedeutung wieder erlangt. Nicht als Energielieferant gewerblich-frühindustrieller Betriebe allerdings, sondern als lebendiger, Erholung bietender Nervenstrang. Er wird heute als dominierender und charakteristischer Naturraum unseres Dorfes gewertet und zieht sich als baumbestandenes Band durch die Siedlung. Als dörflicher, besonders typischer Lebensraum gilt er, dessen pappelumsäumte Ufer – zusammen mit der Baumallee des Marktplatzes (Strecke Hirschenplatz bis Lyssbach) – das eigentliche Gesicht des Dorfes Lyss ausmacht.

Über die älteste Steinbrücke des Dorfes zwischen Klostermühle und Altersheim bewegte sich jahrhundertelang der hauptsächlichste Strassenverkehr zwischen Genfer- und Bodensee.

Die grösste Überflutung seit Menschengedenken
Ein seit Jahrzehnten nicht mehr erlebtes Hochwasser brach am 21. Juni 2007 (einen Tag vor dem 30. Lyssbachmärit) nach einer stockfinsteren Gewitterfront urplötzlich über das Dorf herein. Oberdorf, Dorfkern, Grünau und Industriering waren einmal mehr besonders schwer betroffen.
Am 8. August 2007 trat ein weiteres Hochwasser auf, das wiederum zahlreiche Schäden anrichtete. Eine dritte Überflutung des Dorfes, wie sie seit Menschengedenken noch nie aufgetreten war, brach nach stundenlangen, intensiven Niederschlägen am Mittwoch, dem 29. August 2007 über das Dorf Lyss herein.
Ein fürchterliches Gewitter suchte mit ununterbrochenem gewaltigem Donner, Blitzniedergang und sintflutartigem Regen (130 Liter/m2 in 24 Stunden) das Dorf heim, so dass rund 30% aller Gebäude des Dorfes schwer betroffen waren.

Katastrophale Verhältnisse
Der Lyssbach stieg innert kürzester Zeit gewaltig an und erreichte im Bachbett selbst mehr als die 60-fache Wassermenge der Vortage. Flutartige Wassermassen ergossen sich deshalb zusätzlich über Strassen, Plätze und Rasenplätze mit einer Wassermenge von rund 40-45 m3/Sekunde.
Wohnungen, Kellerräume, Einstellhallen, Geschäftsräume, Industrie- und Gewerbebetriebe, Haupt- und Nebenstrassen sowie alle Bahnunterführungen mit Ausnahme derjenigen am Hirschenplatz («Trachselloch») waren innert kürzester Zeit überflutet. Im Seeland wurden nicht weniger als 640 Hektaren Gemüseland überflutet. Die kantonale Baudirektorin, der Volkswirtschaftsdirektor und der Polizeidirektor besuchten in ihrer regierungsrätlichen Funktion das weithin verwüstete Dorf. Fernsehstationen und Zeitungen in weiten Teilen Europas berichteten ausführlich von der über die Ortschaft Lyss hereingebrochenen Katastrophe.

Als Sofortmassnahmen ordnete der Gemeinderat den Abbruch der Pritschen bei der Klostermühle, bei der ehemaligen Armaturenfabrik und der Steinbrücke beim Jägerstübli (früher Eintracht) sowie den Bau erhöhter Schutzmauern bei der Mühle an.

Trotz sofortigem und stundenlangem nächtlichen Einsatz der vorgewarnten Feuerwehr, des Zivilschutzes, von Truppen der Armee, von zahllosen Sandsäcken und modernstem Abwehrmaterial kam es zu Schäden von rund 100 Mio. Franken.